KOLLEKTIV - BLOG

Willkommen auf unserer Spielwiese. 

Wir denken und schaffen am liebsten auf einem Knäuel und zusammen, doch momentan sind unsere Austauschmöglichkeiten begrenzt. Kein Coworking, kein Proben, keine Kafipausen, keine Zigi vor dem Theatereingang. Alle für sich, undenkbar weit von einander entfernt, alle paar Tage ein Telefongespräch, eine Videokonferenz oder ein lustiges Meme.  Ein konstantes Emotionales auf und ab, das uns und unser kreatives Schaffen auf uns selbst und unsere Mikrokosmen begrenzt. Als einzelne und als Kollektiv fragen wir uns, wie wir funktionieren. 

Die Idee eines gemeinsamen Blogs ist nicht neu, aber jetzt tun wir es. Denn mehr denn je wünschen wir uns eine gemeinsame Plattform, eine Experimentierfläche, eine Spielwiese… einen Sandkasten, wo wir uns gegenseitig Geschaffenes oder Angefangenes zeigen können. 
Kollektivmitglieder und Freund*innen zeigen uns einen Einblick in ihr kreatives Schaffen und wir schauen mal was passiert. 

Stay tuned
KTF 

Bedeutungssuche zwischen einer Porzellanpuppe mit herausgefallenem Gesicht und goldener Kotze

In diesem Text, der für ein Seminar der UZH entstand, schaut sich Dario ein Bild aus seinem Bücherregal zum ersten Mal so richtig an und öffnet gleichzeitig die  theoretische Ebene von ästhetischer Rezeption. 

Dario ist Freidenker, Macher, Akademiker, Spätabends-Zeichner und Home-Office-Profi. 

Hedgehog II macht was er am liebsten macht, wenn er nicht reisen kann: zeichnen. 

(Dieser Knuffel ist übrigens auch auf Instagram)

Hedgie sorgt für Magie
NoDramaLama

Hugo, von der jungen schönen Anwältin flux aus dem Gefängnis geholt, kommt zurück nach Hause, nach Marbella und zurück zu seinen Boys, seinen Bros, denn selber nie Familie gehabt, sind seine ebenso gerippten Mitstrippenden die seine. Schön. Sonst wohnt er auf einem Boot (wie exotisch!), genauer auf dem Boot, auf dem sieben Jahre zuvor ein Mensch verbrannt ist und deswegen er im Gefängnis war. WHAT? Vergeben und vergessen, I GUESS. 

(An dieser Stelle muss ich doch sagen, dass gewisse Lücken in der Geschichte wahrscheinlich auch sprachlicher Natur sind und es sozusagen lost in translation ist. Oder so. Auf jeden Fall passiert sehr viel mit sehr vielen Figuren und sehr vieles davon habe ich nicht verstanden. Exgüse.)

Schön, die Geschichte geht voran, alle happy oder alle unhappy: die schöne Anwältin arbeitet, die Liebesbeziehung zwischen ihr und Hugo kommt fast unerwartet, die Boys sind Bros und trainieren in Badehosen am Strand, es wird gestrippt, der untote Tote kommt zurück und wird nun aber wirklich umgebracht, Drogen, korrupte Polizei, eine böse Frau etc etc. Und da ganz unerwartet: eine schwer fassbare Liebesbeziehung zwischen zwei männlichen Nebenfiguren (ein Stripper und der Sohn von Hugos böser Exgeliebten, dessen Vater der untote Tote war – of course). Hoppla, wow bei so viel Heterosexualität, die diese Serie angestrengt vermitteln will, eine freudige Überraschung. Und ich möchte die Beziehung gut finden, doch es ist so kompliziert und sie trennen sich alle zwei Szenen und kommen dann doch wieder zusammen und noch einmal und einer faked seinen Tod, weil der Onkel des anderen ihn zahlt und dieser fällt in ein Koma, und  etwas untergegangen: Missbrauch, wer hat diesen Jungen mit den blauen Haaren vor sieben Jahren missbraucht? Endlich wird der Schuldige (NICHT Hugo) gefunden, ins Gefängnis gebracht und dann ist er’s doch nicht. Mehrmals. Hugo ist frustriert und muss oben ohne Klimmzüge machen. Ich bin frustriert, mache aber dann doch keine Klimmzüge. Kein Gedankengang wird fertig gebracht und keine Intrige beendet, das ganze hinterlegt mit intensiver Technomusik, die meinen Puls steigert, da wo ich gedächt hätte, wären eigentlich die Stripper dazu da. Diese Magic Mike für Arme, die aber alle fünf genau gleich aussehen, ölig glatt rasiert, kurze Haare, ein bisschen mehr oder weniger tätowiert. Ihre immer ausgefalleneren Tänze im Klub – in dem nur Frauen zuschauen, wo ich mich doch frage, es gäbe doch sicher auch Männer, die da gerne zuschauen würden, das wäre doch noch eine Marktlücke, wenn sie doch Geldmangel haben – wo sie sich in Kostümen winden, ihre Bodys rollen und dann bis auf die Slips ausziehen. Lichtshow, Geld in den Unterhosen, intensiver Blick in die Kamera. Ich merke: Sie sind nicht sexy. Ich frage mich: für wen ist diese Serie gemacht? Diese krasse archetype monogame Heterosexualität, wo es anrüchig ist fünf Männern beim Tanzen zuzusehen, eine Ablenkung, ein ungegessenes Cheatmeal, bevor frau zurück in die Küche geht. Oder so. Die Strips, die Sexszenen, ja hell sogar die Sexparty sind so prüde inszeniert, brustlos, genitalienlos, makellos. Und dann die stählernen Männerkörper, beim Tanzen, beim pumpen, aus der duschekommend sich umarmend. Keine toxische Männlichkeit, sondern schöne tiefe, zärtliche Freundschaften, die einem das Herz erwärmen und gleichzeitig auch in jeder Einstellung der Anfang eines Pornos sein könnten. 

Mir raucht der Kopf, viele Gefühle, Gedanken kreisen ziellos im Takt, einem bin ich mir sicher, schön finde ich es nicht, sogar ich prüdes Gänseblümchen hatte schon genug Sex um zu merken, dass das kein erstrebenswertes Ideal von Erotik ist und ich frage mich, ist es ein Spaniending, oder ein Netflixding, oder lese ich zu viel feministische Literatur um sowas geniessen zu können, bin ich vielleicht doch asexuell oder aber, und es kommt mir nicht gerne über die Lippen, da ich normative Wertung scheisse finde, aber vielleicht, vielleicht ist diese Serie einfach schlecht. Und kaum hat sich dieses Urteil gebildet, schwillt die Technomusik noch ein letztes Mal an und – bamm – Explosion (das hat es bisher glaub ich noch nicht gehabt) und abschliessendes Voice-over. Das hat doch noch gefehlt. 

Hélène, 20.4.20 

Dein gelb und grün 
Dein schönes Blühen
Nachdem es mich verzehrt wenn ich drin bin,
Dass ich bereits zu riechen meine,
Erschnuppern will,
Sirenengleich lockend rufst du mich
Durch die geschlossenen Fenster. 

Meine Nase riecht nichts.
Draussen nicht mehr als drin.
Ich gehe ganz nah an eine Blüte ran 
und dank vorhergegangener Nasenspülung
Befreiten Geruchsatmenwegen 
Rieche ich vielleicht ein bisschen was. 

Kratzen und Tränen
Schniefen und Gähnen
Meine Nase riecht nichts.
Du wehrst du dich,
Dass ich die sonnenstrahlenreflektierenden Narzissen geniesse 
Dass ich dich aufnehme
Dass ich da bin. 
Und trotz rationaler Erklärung 
Fühlt es sich an, 
Als ob du mich ausschliesst
Mich auslachst 
Mittelfingerzeigend sagst:
es geht mir besser ohne dich.

Meine Nase riecht nichts.
Dieser Frühling erneuert nichts in mir.
Nichts ausserhalb dieser zweieinhalb Gefängniszimmer.
Keine Frühlingsgefühle 
Keine Aufbruchstimmung
Keine neuen Wege, keine Ziele

Meine Nase riecht nichts.
Ich schliesse mein Fenster. 
Allein
Magengrube
Gefühl 
Kindheit 
Wir möchten nicht, dass du mitspielst. 
Du gehörst nicht dazu. 

Frühlingsgefühl
Hélène Hüsler 
April 2020

Am morgen des zweiten tages dieses lockdowns sagte ich
Ich sei froh keine kinder zu haben.
Ein häufiger ausspruch meinerseits, da mitte zwanzig,
Aber gerade jetzt, wo diese unentrinnbar beschäftigt werden müssen, 
Noch wahrer als sonst. 
Unscharf, aus weiter entfernung
Nähert sich eine erinnerung.
Eine erinnerung an eine überzeugung, 
An eine idee, wie mein leben mit 24 sein würde: 
Mann, ich wusste auch schon welcher;
Kind, zwei um genau zu sein,
Sagen wir mädchen und junge zur klischeevervollständigung.  
Eine idee, die nicht meine war. Gesellschaftliche normerwartung,
Diffundiert aus bravo, gilmore girls und make-up werbung. 

Sie ist noch da, ich habe mich nicht plötzlich von ihr befreit.
Kein befreiungsschlag, kein Ahamoment. 
Sie ist immer noch da, doch ich bin ihr entwachsen, 
Einfach langsam rankenartig weggewachsen.
Und jetzt frage ich mich,
Ob ich heute in dieser situation wohl weniger einsam wäre,
Wenn ich meine einsamkeit anderen abgeben, teilen könnte. 
Ob es dann weniger intensive tage, eine weniger krasse erfahrung wäre.
Und dann frage ich mich, ob ich mich weniger eingeschlossen fühlen würde, 
Weil ich mich vor langer zeit selber eingeschlossen hätte. 

Frühlingsgefühl II
Hélène Hüsler 
April 2020

Briefe an Hélène

Liebe Hélène

Es ist nun ein für alle Mal bestätigt, entgegen allen Behauptungen: Ich bin gar kein Kopfmensch! Ha! Wir hatten doch immer diese schöne Aufgabenteilung: Ich Sprache, du Bewegung, ich Kopf, du Körper.
Nun. Kopf funktioniert ohne Körper nicht. (Funktioniert Körper ohne Kopf?) Corona rüttelt an Gewissheiten, nicht nur an dieser. Der Körper fehlt: Mein Kopf steht still.

Auch wenn der Körper natürlich gerade überpräsent ist, überall ist, infizierte Körper, tote Körper, Körper mit komischen Stoffstücken über dem Mund, Körper, die in Körperbeugungen husten, der eigene Körper, der so schwer im Bett liegt. Und gleichzeitig körperlose Begrüssung, Freundschaft, Arbeit. Körperlose Solidarität, weil der Körper gerade zur Bedrohung geworden ist, der eigene (es kratzt im Hals) wie der fremde (Ausweich-Tänze vor dem Pastaregal, coronastyle).

Nehmen wir also unseren Körper und gehen solidarisch in die Ein-Körper-Zone. Eigentlich ein Widerspruch, ein Paradox: Solidarität durch Rückzug, durch Isolation, durch Vereinzelung. Wenn ich Solidarität höre, dann sehe ich Menschenmassen, bunte Transparente, Seite an Seite sich gegenseitig die Spucke ins Gesicht schreien: Hoch. Die. Internationale. Solidarität. Solidarität ist für mich ein körperliches Erlebnis, ein körperliches Handeln. Mir den Raum nehmen, für etwas einstehen, hinstehen, geradestehen. Farbe bekennen. Mein Gesicht zeigen.

Der Körper wird zum Zeichen.

Wie im Theater.

Wenn Solidarität also gerade nicht heisst, sichtbar im öffentlichen Raum in Erscheinung zu treten, sondern unsichtbar in den eigenen vier Wänden zu verharren – was heisst das dann für das Theater?

Körperloses Theater, geht das?

Was meinst du?

Alles Liebe aus der Ferne,

Laura

Liebe Hélène

Ungefähr nach Zweidritteln deiner Nachricht habe ich angefangen zu weinen. Weisst du, was mein erster Gedanke zu Corona war? Scheisse, meine Oma stirbt sicher, mit Krebs und Wasser in der Lunge, Risikogruppe hoch hundert. Und besuchen kann ich sie jetzt auch nicht mehr. Dann ist mir eingefallen: Sie ist ja schon tot. Über ein Jahr. Alles in Ordnung also, muss mir keine Sorgen mehr machen, „wer früher stirbt ist länger tot“ (bayrischer Filmtipp zwischen den Zeilen).

Ich habe meiner Mutter davon erzählt. Sie hatte denselben Gedanken.

Ja, Omas. Frauen. Mütter. Wir.
Erinnern, Erzählen, Erforschen.
Und: Chronologie! Das ist schon ein Jahr her, die theatrale Kreuzfahrt ins Ungewisse? Erinnern wird irgendwie prekär mit Corona, das Struktur raubt, Tage zu Stunden schrumpft und Minuten zu Wochen dehnt. Wann habe ich das letzte Mal meine Kalender-App geöffnet? Plötzlich wünsche ich mir einen Wochenplan, so einen zum Aufhängen, damit diese Zeit sichtbar wird, greifbar. (Was habe ich vorgestern gemacht?)

Wenn ich mich an meine Oma erinnere, dann sehe ich eine Frau im rosa Cashmerepulli mit Froschkönigmotiv aus einem dunkelblauen BMW-Cabrio mit cremefarbenen Ledersitzen steigen, Sonnenbrille, kurzer Rock, Stöckelschuhe, Handtasche, Zigarette. Sie ruft laut „Huhu“ und winkt. Und ich erinnere mich auch, wie ich dir davon erzählt habe: In einem viel zu heissen Proberaum im Fabriktheater, zwischen Hellraumprojektoren und Instantkaffee.

Meine Oma und das Cabrio: die perfekte Metapher. Stillstand gab es nicht, Langeweile erst recht nicht. Meine Oma war immer unterwegs, hat die halbe Welt bereist. Freitag Theater, Samstag Oper, Golf, Biergarten, Portugiesisch lernen. Telfonieren mit Brigitte, Monika, Annemarie, Inge, Martin, Volker, Karlheinz und wie sie alle hiessen. Als sie im Hospiz lag, kam alle paar Tage ein neuer Verflossener, den das Sterben meiner Oma an die eigene verlorene Jugend erinnerte, mit einem riesigen Strauss roter Rosen vorbei.
Corona wäre für meine Oma fürchterlich gewesen.
Ich bin wohl doch die Enkelin meiner Oma.

Sie ist mir bis zum Schluss ein Rätsel geblieben und es gibt so vieles, was mir wohl auch meine Mama nie wird erzählen können. Vielleicht war darum dieses Stück so wichtig: Weil wir so unsere Omas fragen konnten, was nicht mehr gefragt werden konnte. Und wahrscheinlich ist auch genau das der Grund, warum wir OMA immer noch mit uns herum tragen: Weil es noch so viel zu fragen gibt. Mein Oma. Meine Mama.

Und dich! Weil Theater fragen stellt. Und wir in diesem viel zu heissen Proberaum mit dem Fragen erst begonnen haben.

Schön, dass du an mich denkst! Ich denke viel an dich, besonders, wenn ich mich etwas frage.

Alles Liebe aus der Ferne,

Laura

FRAGEN AUS DER FERNE

1 – Hältst du eher die Erinnerung aus, die ein Geruch hervorruft oder fällt es dir bei Wörtern leichter? Und welche Wörter und Gerüche werden uns wohl an Corona erinneren?

Und det une
Uf de Strass isch sie xie
und mier hend üs chöne winke und xeh 
und rede via Handy. 
Ich wür sie so gern umarme. 
Ich vermisses
jede Tag mit ihre chöne zrede
mini Gedanke wälze und a
ihrere Perspektive ufd Welt teilzha. 
Ich möcht de J. umarme
alli G. umarme
im L. sine Ärm verschwinde
de Y. um de Hals falle
mit de B. ufem Sofa kuschle
de J. de T. de M. 
churz, aber mit de ganze Bedütig vo 
üsere Fründschaft umarme. 
Ich möcht d’Z. umarme 
und mit ihre ufem Sofa sitze 
d’E. herze,
eini vo dene schöne Umarmige vom A. 
vode L.. Mit de D. is Kino 
und Wii trinke. De C. bim Kafitrinke guet zuerede. 
Ich will all die Umarmige nahhole, wonich verpasst han will 
ich schnell mitemene allgemeine Winke abghuscht bin. 

Was fehlt
Hélène Hüsler

25.03.20